Wieder da. Der Liebhaber der Langstrecke (also euer Erzähler, also ich) war über's Wochenende in den Niederlanden, dann durch die Eifel, und gestern in einem Rutsch zurück. Problemlose 1700 Kilometer mit der ollen Gurke.
Es folgt jetzt eine halbinteressante Motorradstory, schon wieder. In der Schule hätt's geheißen: "Hefte raus, Thema ist Reisebericht von den Sommerferien, mindestens vier kleine Seiten." Für's Internet natürlich zu lang, leider.
Die meisten Motorradfahrer finden Autobahn ätzend, langweilig, ermüdend, zu gefährlich. Ich finde das alles auch, verstehe es aber als Ausdauersport. Man muss gut ausgeschlafen sein, gesättigt und zufrieden starten. Und die Strecke im Kopf haben, ich schreibe die GoogleMaps-Beschreibung ab, und merke mir halbwegs die Straßennummern. Spaß am Vorausberechnen der Handlungen der Anderen sollte man haben, es darf halt kein Fehler passieren. Dann geht das auch über viele, viele Stunden.
Oft cruise ich eine Weile mit 120 dahin, den Gasgriff festgestellt, dann fährt die BMW von alleine, und ich freihändig. Sie klingt entspannt, und ich kann aufrecht sitzen und ebenfalls halbwegs entspannt aus der Wäsche gucken, hoffentlich. (So in der Attitüde meines wohl eher unhippen Style-Idols, hoffentlich.)
Vor sich hin eideln, sich beherrschen, im Flow vorwärts kommen, Autobahn, Nagelbrett, herrlich. Sich dabei Gedanken machen.
Mit so einem halbhistorischen Hobel wird das Fahren ausserdem recht interessant, zum Beispiel mit Vollgas von der linken Spur knackig ganz rechts rüber bei ausgeprägten Spurrillen, das wirkt adrenalinfördernd.
Wachhaltende Gefahren ergeben sich dauernd daraus, dass die Autos mich der Silhouette nach als Oldtimer einordnen, der scheinbar nicht schneller geht. Beschleunigungsmässig ist man überlegen, kommt also notfalls immer rein, durch, oder vorbei. Aber sauber bleiben und an die Regeln halten ist das Ziel. Und auf der linken Spur kann ich nicht dauerhaft bleiben, weil ich es physisch nicht verkraften würde. Naja, wer's nicht kennt, kann sich ungeschützten Langzeit-Winddruck-Verkehr nicht vorstellen.
Rückfahrt von Köln gestern war zunächst die Hölle. Gewitter und starke Regengüsse bis Hannover, das Wasser stand mir bis zur Oberkante der Überschuhe, ohne Scheiß. Zum Glück blieb es warm. Unter der Kombi hatte ich nur eine Badehose an, das jedoch in Erwartung grösserer Hitze, nicht dauernden Regens.
Schade auch, daß das Moped so gründlich abgeduscht wurde. Es sah so geil aus, über Wochen dekoriert vom Straßenstaub und einer Insektensammlung erlesener Vielfalt.
Ungefähr bei Hamm/Westfalen war dann Schluß mit Lustig. Zündaussetzer auf dem linken Zylinder, und ich konnte wirklich Nichts mehr sehen. Also auf den Randstreifen. Dann gab es einen gottgesandten Feldweg, von der Autobahn wegführend.
Motor lief rechts spuckend weiter. An einer überdachten Bushaltestelle an einer Landstraße habe ich den Platzregen ausgesessen und gedacht: "Alter, das geht ein in deine Top Ten der beschissendsten Tage in deinem Leben."
Also erstmal vier feuchte Pfirsiche, Traubenzucker und eine Packung Nüsse gegessen, und gedacht, "Hm, Hamm/Westfalen. Eigentlich ganz idyllisch hier, möglicherweise, unter anderen Umständen."
Ein westfälischer Trecker-Mann fuhr vorbei, grüßte, und fragte nach Ziel, Baujahr und Befinden. Er wusste natürlich Bescheid über kommende Unwetter.
Es wäre sinnlos, sich freiwillig eine Fortbewegung auszusuchen, bei der man draußen sitzt, um sich dann darüber zu beklagen. Nebenbei, ich suche doch eigentlich genau das. Die Elemente, wieder wichtig. Die Entbehrung, selbstgewählt irgendwie super. Der Tag wird zum Mini-Roadmovie, mit all seinen Aufs und Abs, und Begegnungen. Ziemlich passende Aktivität für Suchende.
Zurück an die Bushaltestelle: ich habe jedenfalls an Abbruch und Zimmer nehmen, oder Umdrehen, gedacht. Aber auf halber Strecke umkehren? Oder um achtzehn Uhr in eine Pension gehen? Auch Quatsch, da muss Mann sich sagen: "Augen auf und durch." Ausserdem sollte das Wetter Richtung Osten besser werden.
Nach einer Weile war die Zündung wieder trocken, oder das Wasser raus aus den Vergasern, oder was weiß ich. Motor lief wieder rund, und der Regen ließ nach:
Komm, graue Maus, fahr mich nach Hause, ich hab dich aus Schrott erschaffen, du Frankenstein-Beemer. Unter beträchtlichem Aufwand, das ist mir finanziell nicht leicht gefallen... ich weiß, das ist jetzt Erpressung. In der Eifel hab ich mich rausgehängt, mal nach links, mal nach rechts, wenn wir durch die Kurven geschnürt sind. Das hat dir doch so gut gefallen, also bitte, fahr einfach weiter. Ganz easy mitschwimmen auf der mittleren Spur, schnurgerade durch den Spray der Laster. Wir machen keine Fehler, es darf nichts passieren. Nicht schwach werden und Situationen durch Gasgeben lösen wollen. Such dir ein Pace Car und fahr schnurstracks hinterher. Kriegst auch weiterhin Superplus und bald schöne, neue Reifen dran. Fahr einfach ruhig nach Hause, du schaffst das.
Also mental frischgemacht, alles geprüft und weiter ging's.
Richtung Magdeburg wurde es trocken, und wärmer und wärmer. Eigentlich sehr warm! An einer Autobahntanke lief mir noch an der Kasse das Wasser aus dem Goretex, während die Auto-Reisenden in Unterhemden und Flipflops anstanden.
Und dann trocknete langsam alles durch, die Schuhe, die Kombi, die Unterbuxe. Nur noch 230 Kilometer.
Es wurde leer, es wurde Sonnenuntergang hinter mir, kein Tempolimit, ein Heimspiel. Nach hinten rutschen, Brustbein auf den Tankrucksack, Knie rangepresst bis zum Krampf, und jetzt gib' ihr. Daß die Krümmer glühen. Auf Anschlag bis zum Stadtring, akustisch nochmal ein anderes Lied.
Zurück in Berlin ist es ein ganz normaler Hochsommerabend, der nicht auf mich gewartet hat, die Leute laufen rum in Sommerkleidung. Hier gab es keine Gewitter, keinen einzigen Tropfen, im Himmel nicht eine Idee davon.
Und ich stehe an der Ampel und fühle mich wie ein Alien, oder wie ein Astronaut oder sowas, jedenfalls wie aus einer anderen Welt kommend. In der es trotz Ohrstöpseln und leisem Helm dauernd brummt bis dröhnt, der Wind pfeift bis kreischt, der Regen prasselt, die Lastwagenreifen an einem vorbeiheulen. In der jeder Schulterblick Kraft kostet. In der mich die Verwirbelungen eines schnelles Vans, der mit zu geringem Abstand auf meine Spur kommt, unangenehm destabilisieren können, und in der mich überhaupt jedes Vierrad ruckzuck töten könnte. Morgen früh wird mir alles tierisch weh tun, von den Fingern bis ins Zwerchfell.
Zu Hause schnell Tankrucksack reingebracht, raus aus den hässlichen Klamotten, und ab zum Spätkauf, einzwei Bier trinken. Und kein Mensch merkt, dass ich mich eben durch eine völlig andere Welt hierhin eingeschlichen habe.