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esc3.August ego - ninjahbitch

Clockwork Charite

Als eingebildet perfekter super-compliant Patient stell ich nix in Frage, akzeptiere wochenlange Terminverschiebungen und stundenlange Wartezeiten weil asi Privatpatienten sich reindrängeln, folge gehorsam allen Anweisungen des medizinischen Personals und versuche mein Teil beizutragen in Richtung Entertainment der Anwesenden, ohne dabei den Ablauf zu verzögern natürlich. Finde Gefallen daran, untersucht und angepiekst zu werden, in teure, interessante Geräte gesteckt zu werden, auch auf so Fragen wie Und, hammse durchen Krebs ihren Lebensstil was geändert? fühl ich mich genötigt was zu sagen wie Ja, ich rauche jetzne andere Zigarettenmarke. Die Leute haben den ganzen Tag mit diesem Mist zu tun, man muss ihnen zeigen dass man ein nettes Kerlchen ist, wenn sie dann mal Zeit haben für ungezwungen zu fragen. Überhaupt mag ich am liebsten AiPler und Assistenzärzte, die komm mit frischem Wissen und Gewissen an und überlegen ihr Tun gut, denn sie müssen Rechenschaft ablegen.

Für mich war und isses am besten mit einer Clockwork Orange- Einstellung da durchzugehen, wie leicht auf Valium, mentales Wait And See irgendwie. Immer schön die Beine breit machen, ohne allzu devot zu wirken, ohne sich den Spass an der Show allzu sehr anmerken zu lassen:

Gestern letzte Bestrahlungsvorbereitung in der Charite, Erstellung einer "Maske" im CT-Simulator oder so, und Aufmalen der Markierungen auffem Bauch. Die Strahlenärztin, "So dann müssten sie jetzt vorher ihren Hoden hier in die Schutzkapsel rein manövrieren, das wollen sie vielleicht selbst machen." Ich, "Ok", und wurschtel da nackich auf der Liege des CT an meinen Weichteilen und an den Einstellschrauben dieser aufklappbaren Stahlkugel rum, hier auffem Bild noch mit Hose an natürlich. Mein neuer Freund die Schutzkapsel ist ein hammerschlaglackiertes Vorkriegsmodell, eiskalt im Design und eiskalt in meinem Schritt. Guck ich mich um und die Frau Strahlendoktor und ihre Komplizinnen sind sich einen am abgrinsen angesichts meiner Bemühungen. Das gibs doch nich denk ich und sag, "Ooch, ich kriegs wirklich nich hin", mach mich lang und verschränk die Arme hinterm Kopf. Sie Flapp! Gummihandschuh an und sagt, "ich will Ihnen da nix einklemmen, nicht dass ihnen das andere gute Stück auch noch abhanden kommt." Ich, "Ja nee, tät auch nix ausmachen, ich hab doch ein teures Konto mit mein wertvollen Genmaterial auf der Samenbank." Ach naja, und so weiter, Aufschneiderei, man will sich ja jovial zeigen und einer muss ja den Hirsel machen.

Is that a lump on your testicle, or are you just happy to see me?

Bei ähnlicher Gelegenheit, wenn jetzt zum Beispiel die Frau Dokter Hausarzt-Urologin da am untersuchen war, dachte ich schon Ey Alter, jetzt bloss keine Erektion, das wär zwar nur menschlich, aber ein extrem uncooles Szenario. Schnell an Hitler und Göring denken und wie sie voll auf Crack miteinander ficken, das törnt zuverlässig ab. Während sie mittem Ultraschallgerät zugange ist und auf den Monitor guckt sagt sie Sachen wie, "Ja Herr ninjah, es ist halt auch so dass viele Männer nach dieser Erkrankung, einem Verlust dieser Art, erstmal eine Phase absolut verschärfter Promiskuität durchleben." Ich, "Äh ich, ääh bei mir... äch bin noch nicht soweit. Ich brauche noch Zeit. Aber naja es ist schonmal wieder passiert, immerhin, es war wie beim ersten Mal, also besser natürlich, nicht optimal, aber so vom Erwartungsdruck her, immerhin hat geklappt." Dann setzt sie ihr herrlich professionelles Sie- könn- hier- über- alles- reden- aber- nicht- länger- als- fünf- Minuten - Gesicht auf und ich denke Hm, hinter dieser steril-weissen Hülle und den Augenringen ist und bleibt sie doch eine sehr attraktive Frau. Diese eine Liebe. Wird nie zu Ende gehen. Wann. Werd. Ich. Sie. Wiedersehen.

Ganz am Anfang, als ich zur OP ins Urban reinkam und in irgendeine Abteilung für irgendeine spezielle Untersuchung geschickt wurde, sass ich im Warteraum gemeinsam mit einem armen, eingefallenen Kerlchen in einem Rollstuhl mit tausend Geräten, der an allen möglichen Schläuchen hing. Einer, der mal ein älterer Herr war mit einem Leben, in dessen freundlichem, grossem Gesicht schon diese Müdigkeit war, der dagegen nicht mehr ankam, und der mich jetzt nur noch schlecht atmend mustern konnte und es dann hinbekam, nach einer Weile langsam mit den Achseln zu zucken. Vom Style her ein bischen wie der alte Papst vielleicht. Da gab es nichts zu sagen für mich Neuling, der gerade erst die erste Stufe einer jawohl höchstwahrscheinlich gut verlaufenden Krebskarriereleiter erklommen hat, mit der fixen Idee, nochmal 35 Jahre vor mir zu haben. Diese Idee im Kopf so hart wie ein Nierenstein und fest verankert wie eine Knochenschraube. Da gabs nur sich angucken. Mein Blick: Eigentlich bist du schon weg, mehr Zukunft ist da nicht für dich, aber ich muss dich angucken, du bist schliesslich einer von der eigenen Art. Ist gut dass ich dein Leid und Elend jetzt sehe, das lässt mich besser fühlen. Sein Blick war wie: Ja, eigentlich bin ich schon weg, aber mehr konnte niemand tun und dich Hanswurst brauch ich schonmal gar nicht. Warts nur ab du. Trotzdem sind wir jetzt zusammen hier und ich will mich am Anblick deiner dümmlichen Zuversicht und Hoffnungsvollheit laben.

author: ninjah - topic: ego
 

bo - August 7, 2006 at 2:49:01 PM CEST
 

Respect


Herr Ninja...musste tierisch lachen bei Hitler und Goering, hab eigentlich immer versucht and haessliche Frauen zu denken, aber vielleicht versuche ich es mal damit!!!

 

ninjah - August 7, 2006 at 3:27:53 PM CEST
 

Göring ist doch


ein sehr hässliche Frau

 

amplifier - August 7, 2006 at 6:39:13 PM CEST
 

medizintechnik


gut dass ich nicht in so´n ding muss. ich hoffe, sogar du hast noch einen rest unbehagen vor diesen komischen maschinen...denn ich bin vor angst vor allem brummenden-weiß-lackierten immer völlig fertig. ich könnte mir sogar beim röntgen vor angst das herz zum infarkt zwingen. und überhaupt - ich war mal beim Arzt, weil mich seit jahren die angst vor jedweder krebserkrankung beschleicht. was für dch nicht relevant, wenn überhaupt dekadent sein mag - nun gut, aussuchen ist ja nun mal nicht wie wir feststellen müssen... aber seit diesem tag (an dem ich meine sehr geschätzte hausärztin nach einer entsprechend hervorgestammelten offenbarung - denn die angst erstreckte sich derzeit auf meine komplette familie - mit ner überweisung für den psychiater verließ, ich hab den freifahrschein für eine mir völlig neue medizinisch-pharmazeutische versorgung sausen lassen, mir ist dann doch eher nach reden) weiß ich, dass es dafür einen namen gibt: kancerophobie. so, als ob hypochonder nicht reichen tät. meine hoffnung ist jedoch, nach all den eher nicht freudig stimmenden ergebnissen der krebserkrankungen in meiner familie, dass mir in der tat dieses los erspart bleibt, bzw. wenn, ich dann wenigstens hodenkrebs kriege ;) ich fürchte mich also an dieser stelle ein wenig für dich vor den bestrahlungsmaschinismen und halte die daumen gedrückt, dass du ostern nie eierlos erleben musst. unser besuch bleibt geplant, bis dahin habe ich garantiert auch noch ne idee zur kompensation von wartezimmer- und therapie-frust....

 

kris - August 8, 2006 at 9:35:38 AM CEST
 

Ich glaube, die Dame mit der absolut verschärften Promiskuität steht auf untenrum blitzblank rasiert. Da geht noch was!

Ansonsten alles Gute und beeilen Sie sich mal mit dem Gesundwerden. Wir müssen hier noch Pfingsten nachholen.

 

hun - August 8, 2006 at 10:00:42 AM CEST
 

Hm. Hm. Das mit dem Ändern und Geduld ist aber normal. Das lernt man da, sich kurzfristig auf ganz anderes einzustellen.

Bei mir wurde auch der Kopf bestrahlt, bis Unterkante Brustkorb. Dann machen die so ein Plastik-Sieb heiß und legen das über den Kopf und haken es auf dem Tisch ein. Da kann man kaum noch das Gesicht verziehen. Muß warten, bis das Ding erhärtet und wird vermessen und bekommt Positionskreuze mit Edding aufgemalt. Gegen Ende bekam ich fast Panik, konnte mich grad noch beruhigen lassen... Irgendwas paßte nicht, dann war es doch ohne Festhaltemaske.

Dann habe die für die Augen eine Bleiabdeckung gegossen, die immer in das Gerät geschoben wurde. Und dann liegt man da und merkt gar nix. Es riecht nach Ozon und tickert ein wenig. 2 mal 1 Minute, Aufwiedersehen. 2 mal 1 Monat. Das geht dann aber doch so allgemein körperlich auf 'die Nüsse'.

 

fabe - August 8, 2006 at 2:28:59 PM CEST
 

In meiner letzten "Röhre" waren Blümchenaufkleber innen angeklebt, was ich eine nette Geste fand, die aber in ihrer Hilflosigkeit doch bedrückend war. Akkustisch fand ich die Geschichte sehr interessant. Weiterhin allet Jute!

 

yo-cheng - August 9, 2006 at 9:07:35 PM CEST
 

sehr gut! viel Kraft!

 

ESCguest - August 10, 2006 at 4:55:03 PM CEST
 

..! Respekt für diesen Text.

 

ndegree - August 12, 2006 at 2:12:53 AM CEST
 

Bin angehender Weißkittel, also quasi auf der anderen Seite der Schutzkapsel zuhause... Ich weiß, für jeden ist das "Sie- könn- hier- über- alles- reden- aber- nicht- länger- als- fünf- Minuten - Gesicht" irgendwie unheimlich - aber es is halt so, gerade in Praxen, in denen eben kein AiPler oder Assistenzarzt sich vielleicht noch ein kleines Bisschen mehr Zeit nehmen kann. Die fünf Minuten sind wirklich ein Problem, aber ich kann versprechen, dass das ""Sie- könn- hier- über- alles- reden" dann doch zutrifft. Solche Situationen sind naturgemäss ätzend, aber hey, macht Euch bloß keinen Kopf, die weißen Kittel haben ihr Gefühl für Peinlichkeiten schon während der ersten Semester abtrainiert bekommen. Klingt einfacher als es ist, aber vielen hilft es, sich das in diesen verdammt abstrusen Situationen bewusst zu machen. Ja, hohles Gelaber, irgendwie, vielleicht macht es aber das ganze ein kleines Bisschen weniger unbehaglich. Wünsche (wirklich!) alles Gute!

 

ninjah - August 13, 2006 at 12:40:15 PM CEST
 

nix davon ist unheimlich


oder unbehaglich, weder Gesichtsausdrücke noch solche Gespräche oder Situationen. "Unheimlich" geht anders.

die weißen Kittel haben ihr Gefühl für Peinlichkeiten Schon während der ersten Semester abtrainiert bekommen

:-)

 
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