Angeheitert bin ich, es ist Vorabend meines Geburtstages. Ja, ich finde Alterwerden geil, und gerade jetzt kann ich die schönen Seiten davon erwischen, dochdoch. Wie Plattenkiste im Flohmarkt. Ja genau, das klingt; kann ich mir die schönen Seiten erstmal genau begucken und guten Preis machen, “Is doch schon Kratzer drin hier, Alter: einen Euro”. Und ich denke, Mensch, hör dir doch die mal an, kost’ fast nichts, gebongt. Und guck mal die da drüben: andere Töchter hamm auch schöne Mütter. Ja, den Spruch sage ich gerne auf. Und die da, die da am Eingang steht, achtzehn oder neunzehn. Für zwei Wochen würde sie mich voll interessant finden und ich kann ihr die Jugend rauszuutschen, dann Frühstück mit Graubrot. Aber nicht heute, heute will ich nicht auffen Flohmarkt! N!cht mit m!r ! The best things in life are free, but you can give them to the birds and bees. I want money.
II: Die Dreissiger - Wo Erfahrung, Schmutz und Kraft sich vereinen
Lange habe ich den Typ gemacht, der nicht allzu sehr an sich glaubt und auch nicht allzu sehr an das, was er macht. Wenn überhaupt was. Aber immer alles kokett verkackt, mit ironischer Brechung. Scheisse mit Stil und geklauten Zitaten aus der Zeit. Aber die läuft ja weiter.
Das ist manchmal eine gute Karte gewesen, doch Taktik will geändert werden. Zumal, wenn es keine gibt. Denn mir machen die Sprünge mehr Spass, unter deren Trapez es kein Fangnetz gibt. Nur zwei Hände, die einem entgegenkommen und beide müssen genau zum richtigen Zeitpunkt zufassen. Der Trommelwirbel sagt’s ja an, und es klappt dann auch. Aber was ist das alles für ein Mist.
III: Die schönen Seiten
Haar wird lichter, bisher bemerke nur ich es. Das ist was Neues für mich und irgendwie dachte ich bisher, ich sei dagegen immun oder so. Auch graue sind jetzt dabei. Oh, die geben dir mal was ganz Charmantes. Ich mach gerade wieder bischen mehr Sport, was mir gut tut. Physisch ist alles ok, ich habe Glück, denn ich hatte in den letzten 20 Jahren eigentlich nix, woran ich nicht selbst Schuld gewesen wäre, und das ist ein unbezahlbares Geschenk, unbezahlbar wertvolles Geschenk. Ich pass immer auf mich auf, deswegen vielleicht auch das mit dem Fangnetz. Also dass es nicht so nötig ist, na egal. Freundin ist eine wunderbare. In einem halben Jahr hat es tatsächlich niemals richtig gekracht. Nein, das macht mich nicht stutzig. Obwohl ich es gern drauf anlege, mit Streiten aufgewachsen bin und in meiner Welt muss es manchmal ordentlich scheppern, das Würz meiner Suppe. Besonders gern gehe ich zugeknallt auf Kollisionskurs, wobei ich nicht physisch gewalttätig werde, aber recht penetrant werde und mich dann sehr gut widerlich finde. Ausserdem sagt sie mir oft genug, dass ich ihr Superschwanz bin, weiss sie doch, wie mann funktioniert. Wie wunderbar mann doch funktioniert. Ich könnte stundenlang so weiter machen. Doch dasselbe hab ich vor einem, zwei, drei, vier Jahren auch geschrieben. Aaah, vor vier Jahren, als es so neu war, webloggen. Jetzt bloss nicht “damals” sagen. Ausserdem hab ich überhaupt kein Training mehr, das war echt beschwerlich. Au revoir.
Am nächsten Tag: Geburtstag!
Geht weiter, wie er angefangen hat. Kleiner Sekt, Schluckweg. Mutter ruft an, Schwester nicht: sie ist in der Hohen Tantra oder so, bestimmt Funkloch. Drei Exen gratulieren mir. Super, dass du dran gedacht hast. Und, dein Dings, haste den noch, ja, alles paletti bei uns, wir waren in Urlaub, schön, ja stimmt, ach danke für die nette Karte.
Sonst ist ja nicht soviel mit Freunden. Ich bin jemand, der eigentlich meist mit denen zufrieden ist, die grad um mich rum sind. Alten Freunde ihre Geburtstage vergesse ich sowieso immer, die ja auch. Wär ja noch schöner, wenn! Nee, so sind wir ja nicht.
Beste Freundin schenkt mir einen Kaktus. Hmm, wieder sage ich “super”. Ich hatte ja noch nie einen. Ich mach mir keine Gedanken, wieso warum ich jetzt einen Kaktus bekomme. Wo kommen wir denn dahin. Sie hält eine Rede, die anfängt mit “in den letzten zehn Jahren”. Wo kommen wir denn dahin...
Zurück zu gestern.
Frühabends im Volkspark Friedrichshain. Am Ende einer sechzigminütigen Runde durch die drei Skateboardanlagen an dem Teil angelangt, wo ein Retro- Buffen aus Beton und ein Krater sind, über die man so Siebziger- Jahre- mässig rübersurfen kann. Das ist genau für mich. Es gibt viele Kinder und Mütter, für die man den Kasper machen kann, was mir Spass macht. Aussenrum ist eine 800 Meter- Bahn für die Rollerblader, wo die blöd im Kreis laufen, mit Dingern an Knien und Ellenbogen.
Ich habe inzwischen einen Bekannten dort. Er findet mich heiss, ich finde ihn nett. Überhaupt hab ich einen guten Anschlag bei Schwulen momentan, weiss nicht. Er verschwitzt, “ich wohn ja hier um die Ecke in der Strassmannstrasse”. Ja, da haste ja kurze Anfahrt. Buchhändler aus München, seit 88 immer im Verlagswesen, letztes Jahr geschmissen, nach Berlin umgezogen zum Rumrocken, lockeren Sommer machen. “Wie alt bist du?”, fragt er. Ich stotter rum, “Zweiunddreissig, naja dreiunddreissig äh, nee, noch zweiunddreissig”. Ich will nicht verraten, dass ich morgen Geburtstag habe. “Oh”, sagt er, “ich hätte dich auf Ende Zwanzig geschätzt oder so”. “Oh”, sag ich, “da muss ich danke sagen”. Er sagt, er sei jetzt vierzig. “Nee”, sage ich, “das hätte ich nun nicht gedacht. Also Midlifecrisis. Wie ist das so?” Und es entspinnt sich ein nettes Gespräch in der beginnenden Abendsonne.
Er fährt dann noch drei Runden und ich skate noch kurz. Dabei überlege ich, wann ich wohl anfange, auf die Sonnenbank zu gehen und mich piercen zu lassen. Ich guck mich um: der ganze Park ist gefälscht. Nur da, um mich zu beglücken. Die Frisbees, die einem fast an den Kopp knallen, die schwulen Rollerblader.