(ninjah seine Mutter war im August für zwei Tage zu Besuch in Berlin.)
Ich schaue hier gerade meiner Mutter über die Schulter. Wir sitzen auf einem Ausflugsdampfer, Rundfahrt Treptow - Müggelsee - Treptow. Mutter schießt ein Foto, ich auch.
Am linken Handgelenk trägt sie ein goldenes Armband, das nach dem Prinzip einer Panzerkette gearbeitet ist. Es ist das älteste Schmuckstück, das ich kenne, denn daran habe ich als Säugling immer rumgegrabbelt. "Du hast nie geschafft es kaputt zu kriegen" sagt meine Mutter und lacht. Während sie diese Worte spricht, weht ihr Haar ganz einzig- und eigenartig umher!
Ich bekomme Angst und möchte augenblicklich über Bord gehen, denn solches Haarwehen war doch nur in den Siebziger Jahren möglich. Ich gucke die Schiffswand runter und sehe meterhohe Wellen, die sich schäumend am Bootsrumpf brechen. Die Gischt riecht nicht schlecht und plötzlich dröhnt eine Stimme: "Backbord sehn sie ein Jebäude. Es hatte 1985 ein Bauvolumen von knapp 17 Millionen Euro."
Direkt hinter unseren Sitzen steht ein Lautsprecher, durch den der Kapitän seine Ansagen macht. Der Kapitän hatte sich das Mikrofon zu Beginn der Fahrt anal eingeführt und dazu erklärt "ick brauche beide Hände zum Lenken des Fahrzeugs. Es hat zweihundertundsechzig Sitze."
Der Dampfer schiebt sich über den Müggelsee, das Oberdeck ist voll besetzt mit Rentnern, Touristen und einer großen Schnittmenge. Wir sitzen ganz hinten und atmen das verdampfende Sonnenöl von hundertzwanzig in der Müggelseesonne verbrennenden Menschen. Die Passagiere spielen stille Post und sagen reihum "hier in Köpenick könnt man sich schon vorstellen mal zu wohnen, jaja." Schließlich sind wir dran, machen da nicht mit und schießen beide noch ein Foto.
Unter Deck ist es airkonditioniert und die Toiletten sind sehr gepflegt, mit blauen Kacheln und goldenen Armaturen. Wir steigen jetzt aus, die Rundfahrt ist um.
Der Sonntagsausflug nimmt uns bei der Hand und führt uns zum botanischen Garten. In Schöneberg warten wir auf die S1.
Am Bahnsteig gegenüber steht ein junger Mann. Minutenlang steht er regungslos da, er wechselt nur mal Standbein und Spielbein. Er scheint gerade von Loreal ihrem Hairstyle zu träumen, doch eigentlich denkt er an Jesus Christus, der das Plakat links daneben angeklebt hat. Fast unmerklich wechseln seine Kopfhörer die Musik, perfekt reingemixt erklingt der Hit "Crazy in Love" von Beyonce. (Vielleicht kennen Sie das Stück.) Das Unheimliche daran: es gab das Lied zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht... oh- oh...
Mutter und ich diskutieren währenddessen, ob man von Leuten Fotos machen darf, ohne sie zu fragen. "In der dritten Welt schon gar nicht und von Leuten aus fremden Kulturen auch nicht" sagt meine Mutter und ich sage „da klaut man denen die Seele“ und sie "ja, nee, nicht, wenn es für Geld ist". Wir haben die gleiche Meinung zum Thema, deshalb missverstehen wir uns, weil es ja sonst langweilig würde. Schließlich werde ich sauer, "das meinte ich doch gar nicht so" und sie: "ja, wie denn dann, immer drückst du dich so undeutlich aus." "Ach Mutter, na anders." "Äh, ja was denn nun, das ist doch völliger Unsinn."
(Vielleicht möchten sie noch einen anderen minutiösen Bericht von einem früheren Besuch lesen, aber muss nicht)
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